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Norbert Langer – Eröffnung der Ausstellung in der Staatlichen Bibliothek Regensburg

Peter Liebl: Bilder – Gedichte
(Vortragsfassung)

Peter Liebl begrüßt Sie mit einer Art Hommage an den Ort der Ausstellung: Die beiden Diptychen zu Eichendorffs Gedichten „Sehnsucht“ und „Mondnacht“ mit der Pinselhandschrift auf leicht getöntem Grund und die bildnerische Antwort des Künstlers laden wie die aufgeschlagenen Seiten eines Buches ein zum Lesen und Schauen.
Er legt den Satzspiegel dieser Bildtafeln mit fünf mal sieben senkrecht gestellten Rechtecken, die als Farbpartitur auf dem Malgrund schweben, so abstrakt an, als gebe es die lyrische Bilderwelt des Romantikers nicht,

  • nicht den gestirnten Himmel oder die fernen Töne des Posthorns, nicht das Singen der Wanderer, das sachte Rauschen der Wälder, den Klang der Lauten, das verschlafene Rauschen der Brunnen – all die optischen und akustischen Reize von Fensterblick zu Fensterblick nicht,
  • nicht den weit geöffneten Naturraum zwischen Himmel und Erde in der „Mondnacht“, und die nicht nur grammatische Irrealität des Bildes vom Kuss von Himmel und Erde und die Irrealität des Fluges der geflügelten Seele „nach Haus“,
  • aber auch nicht die rhythmische Energie der Gedichte mit ihren metrischen Tonverschiebungen, Alliterationen, Reimen und Assonanzen.

Wolfgang Frühwald hat von den romantisch überformten „kryptischen Zitaten“ in dem so einfach erscheinenden Gedicht „Mondnacht1 gesprochen, vom Mythos der kosmischen Vermählung von Uranos und Gaia in der ersten, vom antiken Schmetterlingsbild der Psyche, der geflügelten Seele, in der dritten Strophe. Man hat auf die Anspielung auf Demeter, die durch ihre Segenskraft die Ähren sprießen lässt, bzw. auf die „Madonna im Ährenkleid“ in der zweiten Strophe hingewiesen.
All diese Bilder sind auch in Liebls Fassung kryptisch, also verborgen, wenn er das farblich einfängt und ins Abstrakte verwandelt, was im Gedicht Vorstellungen erweckt von Himmel, Erde, bewegten Naturvorgängen und sehnsüchtigem Träumen. Und daher sind die Farbfelder mit ihren Akkorden und Kontrasten keine Leerstellen, in die sich beliebige Kommentare oder Empfindungen einschreiben lassen:

Der Germanist Gerhard Kaiser weist in seiner Interpretation der „Mondnacht“ aus Eichendorffs Geistlichen Gedichten darauf hin, dass die Assonanz von Himmel und Blütenschimmer („Es war, als hätt' der Himmel / Die Erde still geküsst / Dass sie im Blütenschimmer / Von ihm nun träumen müsst‘ “) in der ersten Strophe von „großer Ausdrucksmacht2 sei: „Ein Blütenmeer oder ein Blütenkleid sind taktil. Blütenschimmer ist ein ungreifbarer optischer Reiz, ein im Raum diffus verteiltes Leuchten“.3 Und genau dieses Licht und diesen Farbeindruck eines erfüllten Augenblicks lässt Peter Liebl aufleuchten in seiner Komposition mit Farbwerten ohne scharfe Konturen, die wie leise bewegt hinter einem Schleier schweben. Es ist sicher nicht zu viel gesagt, wenn ich mir hier Frühwalds Aussage zum Gedicht ausleihe: „Die Traumatmosphäre umfängt das ganze Gedicht, und der Brautschmuck der Erde schimmert im Mondlicht4. Zumal ja Eichendorff ursprünglich erwog, das Gedicht „Im Mondenglanz“ zu nennen.

Die Farbe Blau erscheint in zahlreichen Werken Peter Liebls als Leitton seiner Malweise, die – vor allem in den Aquarellen – geschult ist an Cézannes blauen Schattenfarben und Schattenbahnen. Der Farbe spricht man nicht nur poetische, sondern auch malerische Energie zu. Nicht zu vergessen ist ihre synästhetische Potenz, das heißt das Farbenhören oder Klängesehen. Das Außergewöhnliche der klanglichen Farbempfindung wirkt etwa in Mörikes Gedicht „Um Mitternacht“: „Ihr – der Nacht – klingt des Himmels Bläue süßer noch“. Der Lyriker Heinz Piontek, dessen Liebe zunehmend auch dem Aquarellieren galt, sprach von Blau und seinen Schattierungen als dem bedeutendsten Ton, einem „Elementarzeichen“: „Nicht bloß, weil man es benötigt, um die Lufthülle des Planeten zu imaginieren. Tages- und Jahreszeiten lassen sich von seinen Schattierungen ablesen. Überhaupt die Zeit: wenn sie eine Farbe haben sollte, was käme anderes in Frage als Blau“. 5
An Weiteres sei erinnert:
Die Lesarten der Farbe Blau: ihre reiche Farbskala, ihre Spannung zwischen Schwarz und Weiß, ihre Polarität zu Gold und Gelb und die durch sie jeweils ausgelösten Empfindungen haben Künstler über die Jahrhunderte hinweg bewegt. In Novalis‘ Blauer Blume verbinden sich Traum, Liebe und Poesie zur Chiffre für das Romantische. Epochen später (1911) – als romantische Nachfärbung sozusagen – reflektiert Kandinsky, Künstler des „Blauen Reiters “, in seinem Aufsatz „Über das Geistige in der Kunst“, dass Blau zur Vertiefung groß sei und im Menschen die Sehnsucht nach dem Unendlichen, Reinen und schließlich Übersinnlichen wecke: „Blau ist die typisch himmlische Farbe“. Für Gottfried Benn wiederum ist Blau das „Südwort schlechthin“. Aus der Fülle von „Blauen Gedichten“ seien zwei genannt: Else Lasker-Schülers Gedicht „Mein blaues Klavier“ und Wallace Stevens‘ Gedichtzyklus „The Man with the Blue Guitar“ – angeregt durch das Gemälde „Der alte Geigenspieler“ aus Picassos Blauer Periode. Es sind auch poetologische Gedichte, in denen das blaue Instrument zu einem Symbol künstlerischer Imagination und mithin auch gefährdeter Poesie wird, „seitdem die Welt verrohte“, wie es bei der Lasker-Schüler heißt.
Die hier ausgestellten Diptychen und Aquarelle sind Bilder zu Liebls Lieblingsgedichten.
Zwei Gedichte und Aquarelle sollen die ausgeprägte Variationsbreite seiner Formen- und Farbensprache erläutern: Eduard Mörikes „Um Mitternacht“ (1856) und Paul Celans „Heimkehr“ (1956) . Genau 100 Jahre liegen zwischen ihnen.

In seiner bildnerischen Antwort auf Mörikes „Um Mitternacht“ greift er die Farbklänge des Gedichts auf – „die goldne Waage“ der mitternächtlichen Zeit, deren Schalen „stille ruhn“, und den Klang von „des Himmels Bläue“ – und staffelt sie in Abtönungen und Kontrasten von Dunkel und Licht. In der kompakten, sich zur Mitte lichtenden Komposition des Aquarells erkennen wir jedoch, dass die poetische Bildfigur der Ausgewogenheit, in der für einen Augenblick die Zeit ruht, nicht die einer mathematischen Symmetrie ist, mit der gelb-goldenen Säule als Symmetrieachse. Vielmehr leben beide, Mörikes Text und Liebls Aquarell, von leichten asymmetrischen Verrückungen und Unausgewogenheiten, in denen „um Mitternacht“ sozusagen die Unruhe des vergangenen Tages bis in die Ränder nachzittert:

„Doch immer behalten die Quellen das Wort,
Es singen die Wasser im Schlafe noch fort
Vom Tage,
Vom heute gewesenen Tage“

Mit diesen sprunghaften daktylischen Versen gegenüber den vorhergehenden ruhig fließenden Jamben endet der Text. Sie verleihen den kecker rauschenden Quellen das beunruhigende Übergewicht gegenüber dem mythologischen Bild der erhabenen Nacht in einem Gedicht von fast klassischer Ausgewogenheit. Alles Geschehen und alle Zeitlichkeit scheinen nur für einen Augenblick aufgehoben zu sein. Liebls Bilder sind also nicht nur Reflexe auf lyrische Texte und deren Grundstimmung, nein sie sind bildnerische Reflexionen – wie hier über Licht und Dunkel, über Bewegung und Ruhe, über den Zeitlauf und die gefährdete Stille eines erfüllten Augenblicks.

In seiner Publikation „Dunkle Flecken, Gedanken zur Malerei“ spricht Peter Liebl über eine abendliche Winterlandschaft am Donaustaufer Burgberg, darüber wie sich die Schatten über die Farben des hereinbrechenden Dunkels legen, so „wie sich eine Haut bildet“: „...der blaue, violette, graue Schnee, die dunkle Mauer mit dem viereckigen Loch Himmels dahinter, darüber dieses Verschwinden des Lichts und die bis ins Schwarz sich ausstreckenden Bäume“.6
Man vermeint die Farbpalette des Aquarells zu Paul Celans Gedicht „Heimkehr“ vor sich zu haben, mit den Blauschatten, den ausgesparten Weißtönen und dunklen Flecken von Schwarz, den weißgrauen und weißbraunen Pinselspuren, mit dem karg gesetzten abgestumpften Gelb-Ocker. Es ist eine schneeig-düstere Meditation voller unruhiger Bewegung der zerrissenen Formen. Liebl greift das dichterische Sprechen des jüdischen Dichters, der eine „grauere Sprache“ ohne lyrischen Wohlklang forderte, auf und formt „ein Gefühl“, wie es sich in den letzten Zeilen ausdrückt, „vom Eiswind herübergeweht, / das sein tauben-, sein schnee- / farbenes Fahnentuch festmacht.“ Denn Celans Schneelandschaft ist eine Landschaft mit den Zeichen einer Gedenkstätte, Hügel um Hügel /unsichtbar , mit der „Schneespur des Verlornen“, die auch ein tagelanger dichter Schneefall nicht zuzudecken vermag. Das wird umso deutlicher, als das Aquarell neben dem sommerlichen Prunk des Aquarells zu Hölderlins „Hälfte des Lebens“ hängt.
Bilder – Gedichte“ heißt die Ausstellung, man könnte sie auch „Bildergedichte“ nennen:
Liebls Bilder sind keine Illustrationen oder Interpretationen, sondern persönliche, subjektive malerische Reflexe, Reflexionen und Spiegelungen lyrischer Texte. „Allen überzeugenden abstrakten Bildern liegen Naturerfahrungen zugrunde“, schreibt er in seinem „Kallmünzer Tagebuch“ zu seiner Ausstellung „Spiegelungen in der Naab“ im November 2002. Diese Komponenten – Einfühlung und Abstraktion – bestimmen auch die malerischen Auseinandersetzungen mit den poetischen Texten, die ja mit Naturbildern reichlich gesättigt sind. Was er über Naturerfahrungen und deren Spiegelungen formuliert hat, lässt sich daher auf seine Poesieerfahrungen übertragen. Mit den Worten des Malers 7:

„Wenn mich jemand fragte, wie ich mein Werk einordnen würde, so würde ich mit den Schultern zucken, mir aber denken, dass es das Romantische, die Leidenschaft, die Hingabe ist, die einem manchmal packt und aus den Strudeln der Stile, in die man sich immer wieder verliert, herausführt. Auch eine stattliche Portion Melancholie ist gut, denn sie motiviert die Seele“. Das Thema der Spiegelung, oder besser: die gespiegelte Welt im Wasser – so Liebl, hätten seine Sinne am stärksten erregt: „Und auch dies wäre nicht gewesen, hätte ich nicht eines Abends lange allein auf der Brücke gestanden und in den klaren, schwarzen Spiegel der Naab geblickt. Just in diesem Moment muss die Muse (oder war es Nepomuk) mich am Arm gestreift haben und ich verliebte mich in die jungfräuliche Naab mit ihren wilden Schwänen und sumpfigen Inseln, wo die Uferbäume mit ihrem Licht zwischen den Ästen wie Kathedralen im Wasser funkeln. Und die Wolken, die im Blau schwammen, waren da, so dass mir fast schwindlig wurde vor lauter vertauschtem Unten und Oben. Denn dazwischen stehst du und begreifst wenig... So kann ich nur hoffen, einen Tropfen Licht in Farbe kristallisiert zu haben“.

Norbert Langer, Einführung zur Ausstellung:
„Peter Liebl: „Bilder – Gedichte“ am 9. September, in der Staatlichen Bibliothek Regensburg


  1. Wolfgang Frühwald: Die Erneuerung des Mythos. Zu Eichendorffs Gedicht „Mondnacht“. In: Wulf Segebrecht Hrsg.), Gedichte und Interpretationen, Bd. 3: Klassik und Romantik, Stuttgart 1984, S. 399
  2. Gerhard Kaiser: Mutter Natur als Himmelsbraut. Joseph von Eichendorff: „Mondnacht“. In: ders. Augenblicke deutscher Lyrik, Frankfurt am Main 1970, S. 183
  3. Kaiser, S. 184
  4. Frühwald, S. 403
  5. Heinz Piontek: Mit Wasserfarben, in: Liebeserklärungen in Prosa. Hamburg 1969, S. 187
  6. Peter Liebl: Dunkle Flecken. Gedanken zur Malerei. Die Reihe Refugium Bd. 9. Passau 1991, S. 19
  7. Peter Liebl: Aus meinem Kallmünzer Tagebuch (16. 09.-16.10. 2002),
    Faltblatt zur Einladung zur Ausstellung „Spiegelungen in der Naab“