Einführung zur Ausstellung am 25.09.2003 im Caritas-Krankenhaus St. Josef Regensburg
Berichte über Ausstellungen von Peter Liebl sprechen in ihren Überschriften nicht selten von der „Provokation des direkten Blicks“ oder vom „unausweichlichen Blick“ seiner Figuren. Eben diese zwischen Irritation und Faszination oszillierende Wirkung auf den Betrachter konzentriert der Schriftsteller Patrick Roth zu einem kurzen Erzählessay über das Sehen und Angesehenwerden, das Wegsehen und Hinsehen. „In der Augenzone“, nennt er den Text.
Es tat weh, war mir geradezu peinlich, von Liebls Frauen so angesehen zu werden
heißt es eingangs,
Als hätte ich unterhalb der Augen, in den geröteten Zonen, etwas gesehen, was nicht hätte gesehen werden sollen
Während einer Autofahrt mit dem Foto eines Liebl-Bildes auf dem Beifahrersitz, einer Fahrt durch eine amerikanische Zivilisationslandschaft – Filmkulissen, Kinos, Holiday Inn und Highways:
vorbei an Jahrhunderten, die hier niemand mehr sehen will, niemand beweint
entstehen Gedanken über die klärende und lösende, über die reinigende Kraft der Tränen und die Unerschrockenheit des Sehens: Liebls Bilder kommen aus dem Trost der Augenzonen, sind Augentrost – anders als es die Frau auf den Rollerblades am Ende der knappen Erzählung Patrick Roths kommentiert:
Was, glaubst du, ist das Rote da ... unter den Augen?‘ Ich deutete auf die Tränenflecke der Frau und des Kindes. ‚Kriegsbemalung‘, sagte sie
Und darin liegt ja durchaus etwas Kämpferisches.
Lässt man sich weniger auf derlei inhaltlich-spekulative und interpretatorische Lesarten ein, bleibt festzuhalten: die Augenpartie, die Augenzone besitzt eine entscheidende kompositorische Bedeutung, bündelt sie, spiegelt sie doch – einmal kräftiger, ja pathetischer, dann wieder verhalten zurückgenommen, gedämpfter – die Farbwerte der „Umwelt“, löst sie doch koloristisch das Spektrum der geometrischen Farbklänge auf, in welche die Figuren gefügt sind.
Bei dem künstlerischen Anliegen, eine Balance von Figur und Geometrie zu erreichen, spielen die Porträtbilder der letzten Jahre eine gewichtige Rolle. Ruhigere, großflächige Formen – als Tafeln oder Farbbahnen – horizontale und vertikale Verspannungen geben dabei der porträtierten Figur einen Raum zur Entfaltung. Auch wenn man demnach keine Hintergrundsdraperien, Tapeten oder eine ausgeklügelte Lichtregie findet, die einen konkreten Innenraum profilieren sollen, mag man sich – vor allem bei den Kinderporträts – zunächst an frühere Aufnahmen in Fotoateliers erinnert fühlen: an das Statuarische der Modelle, die in erstarrter Pose auf das Blitzlicht warten, an die Accessoires, den Plüschsessel, der Halt gibt, das Spielzeug, Hund oder Katze auf Rädern, die fast beziehungslos am Boden stehen oder den Kindern in die Hand gedrückt wurden. Sieht man aber genauer hin, werden Erinnerungen und Anspielungen wach, die weiter zurück reichen in Traditionen der Porträtmalerei. Mit abwesendem Gesicht lässt da bei Goya etwa der kleine Manuel Osorio eine zahme Elster vor den im Dunklen hockenden Katzenballen vorbei stolzieren; man stößt auf ein Hündchen, eine Spielzeugkutsche oder einen Kreisel und man stößt auf die Posen und den Blick der Augen. Auch dominieren in der Geschichte der Porträtmalerei und –fotografie ungewisse Räume oder auch solche Raum-Kompositionen, die etwas Artifizielles haben, in denen die Porträtierten verankert sind. Kompositonselemente aber wie Bild oder Spiegel im Hintergrund des Raumes, aus denen zusätzlich das Porträt des Künstlers oder der Elterngruppe blickt, entdecken wir natürlich bei Peter Liebl nicht. Vielmehr hebt er vor der ruhigen Farbtafel oder der Farbbahn des Hintergrunds – Innenraum oder Außenraum? – die porträtierte Figur so hervor, dass sie für sich selbst steht – und das nicht selten mit dem Wissen schon des Erwachsenen, mit den Ahnungen schon von Verletzlichkeiten.
Menschenbilder und Kompositionen!
Das Malerstipendium der Familie Luber mit dem wochenlangen Eintauchen in die Natur und Landschaft von Kallmünz wird von Peter Liebl als „Naturtransfusion“ erfahren. In einem mühseligen und ausdauernden Prozess des Skizzierens, Zeichnens und Malens, aber auch des Reflektierens und Nachdenkens weicht die Realität von Landschaft, von Wasser und Spiegelungen im Gewässer, die Realität des Wehres oder eines Baumes abstrakten Farbfeldern und Farblinien. „Ich will nicht theoretisch recht haben, zitiert Liebl Paul Cezanne, „sondern angesichts der Natur“. Natur verliert also nicht an Wert durch Abstraktion, vielmehr wird sie zur Prä-Figuration von Farben und Formen, wenn der Malprozess zum Ziel hat, aus der „Anschauung der Natur eine tragfähige Kompositionsstruktur herauszudestillieren, die sich dann farbig gestalten lässt“.
Man wird die Kallmünzer Landschaft im Wechsel von Tageslicht und Farbklängen mit dem ununterbrochenen Rauschen des Wehres - mit der Gischt der Trennlinien zwischen zwei unterschiedlich getönten und strukturierten Wasserflächen - mit anderen Augen sehen, wenn man sie durch die Lieblschen Kompositionen und nachtdunklen Farbtöne erfährt.
Sehr einprägsam formuliert der Künstler seine Malerfahrungen – nämlich den geschilderten Weg zu zunehmender Abstraktion angesichts der naturhaften Präsenz der Dinge, wenn er in seinen Notizen aus Kallmünz, den Dokumenten seiner zeichnerischen und malerischen Annäherungen, etwa – um ein Beispiel zu nennen – zur Gestalt und Form eines Baumes meint:
Mehrmals habe ich sein Abbild übermalt, aber den ‚Verrat‘ ihn nachträglich ans Wasser zu pflanzen, hat er nicht ‚überlebt‘. Jetzt ‚ruht‘ er unbeschadet im Dunkel zwischen einem roten und blauen Streifen.
Sein Credo – vielleicht?
Wenn sich das Sehen verändert durch die immer währende Bombardierung der Medien mit Bildern und hektischen Bildschnitten, die nichts mehr transzendentieren, sondern nur noch vereinnahmen und besetzen, so muss es die Aufgabe des Künstlers sein, nach neuen Bildern zu suchen, die das Sehen verzögern und neue (verlorengehende) Dimensionen erschließen. Im Dialog mit künstlerischen und dichterischen Gesprächspartnern, Lehrmeistern und Leitfiguren in Bild, Ton und Wort sieht Peter Liebl das Bild als geistigen Raum, in dem Figur und Natur ihre Würde zurückerhalten und bewahren. Mit seinen eigenen Worten:
Eines hatte ich schon bei Piero [della Francesca] begriffen: alle große Malerei bedarf der gesteigerten Abstraktion der Farbe, des Lichtes und des Raumes. Über [zehn] Jahre hinweg malte ich ungegenständlich, viereckige Flächen dominierten, gelegentlich versuchte ich auch Portraits und Figuren. Allmählich reifte der Wunsch heran, beide Ansätze in einem Bild zueinanderzubringen. Die bis heute anhaltende Suche nach einer Verbindung zwischen der Darstellung des Menschen und der Abstraktion hatte begonnen. Besonders wichtig wurde dabei meine Liebe zur russischen Ikonenmalerei, in der abstrakte und konkrete Bildteile eine gelöste Gemeinschaft eingegangen sind und in der ich verwirklicht sehe, was unserer Zeit, die Gott aus allem zu verdrängen sucht, abgeht.
Die dem individuellen Porträt entrückten Frauenfiguren der sitzenden und stehenden Kore werden diesem Anspruch in besonderer Weise gerecht. In Erinnerung an Brancusis endlose Säule rücken die flankierenden Farbklänge der Rautensäulen die Gestalt in religiöse Dimensionen, werden sie - die Rhythmen der Rauten – doch in ihrer architektonischen Transparenz zu wuchtigen Flügeln der ins reine Weiß gehüllten Koren-Figuren.
Peter Liebl lädt ein zur genauen und aufgeschlossenen Weise des Sehens, nicht müde zu werden, die Augen zu begeistern und sich einzulassen auf seinen Versuch, die Realität von Mensch, Natur und Raum in Figur, Form, Farb- und Lichtfeldern zu abstrahieren, ihre Möglichkeiten auszuloten und in spannungsreicher Harmonie auszuwägen.
Norbert Langer