Zur Einführung
Sehr geehrter Herr Engelberger,
sehr geehrter Herr Liebl mit Frau,
meine sehr gehrten Damen ud Herrn!
Mit Unterbrechungen leben und wirken hier, in dieser ehrwürdigen Abtei der Regularkononiker von Speinshart, seit 1145 Prämonstratenser-Chorherren gemäß der Regel des hl. Augustinus. Dieser Kirchenlehrer ist auf seine Weise auch ein Künstler gewesen, von Beruf Rhetor - also Meister der kunstvollen Rede - darf seinen Hauptwerken (wie v. a. den "Confessiones") unzweifelhaft eine hohe literarische Qualität zugesprochen werden. (Auch in diesem Punkt gleicht Augustinus seinem Meister aus der vorchristlichen Epoche: Platon.) Und wie Platon im "Symposion" versucht auch Augustinus in seinen Frühschriften vom Schönen in der Schöpfung über die Schönheit der menschlichen Seele hin zur Schönheit des göttlichen Geistes kontemplativ aufzusteigen. Aber auch später kommt Augustinus zuweilen auf diesen Gedanken zurück, wenn er etwa in Predigt 177 schreibt:
Redi ... ad pulchrum, ut ad pulchritudinem (gemeint: dei) redeas –
Wende dich ... zum Schönen hin, damit du zur Schönheit [Gottes] zurückkehrst!
Der wahre und vollkommene Gott ist ihm auch der schöne Gott, der Inbegriff aller Schönheit und deren ewiger Urgrund. Alles von Gott geschaffene Schöne spiegelt etwas von diesem Urschönen wider. (Mir scheint dies ein durchaus beglückender Gedanke zu sein...)
Die Sache mit der Widerspiegelung gilt in besonderem Maße für die Werke der Kunst, wie z. B. für dieses gesamte Kloster Speinshart. Es ist nicht nur schön, es eröffnet seinen Bewohnern auch ein Fenster zur Urschönheit des triadischen Gottes. Der Gründer der Prämonstratenser Norbert von Xanten und der Gründer der Zisterzienser Bernhard von Clairvaux sind Freunde gewesen und sie teilten viele Ansichten über die notwendigen Reformen des Christentums im 12. Jahrhundert. Aber während Kunst für Bernhard nicht viel mehr bedeutete als eitlen Schnickschnack, wurde bei den Prämonstratensern von Anfang an bewusst großer Wert auf Stil und gediegene Schönheit gelegt.
Vermutlich hängt damit auch die unterschiedliche Wahl der Klosterregel ab, denn während der hl. Bernhard auf die Benediktregel zurückgriff, hat sich der hl. Norbert für die Augustinusregel entschieden. Mit Bilderausstellungen befinden wir uns hier somit an einem durchaus passenden - wenn nicht sogar idealen - Ort. Und dies gilt allenfalls in noch höherem Maße für diese besondere Ausstellung von Werken des Malers Peter Liebl, deren viele die herbe Geistigkeit und schöne Zucht einer Prämonstratenserabtei atmen und die - wir wir sehen werden - ebenfalls Fenster öffnen wollen...
Peter Liebl, geboren 1946 in Kötzting im Bayerischer Wald, studierte nach seinem Abitur von 1969 bis 1973 an der Kunstakademie in München. Von 1976 bis 2000 übte er eine Lehrtätigkeit am Musikgymnasium der Regensburger Domspatzen aus; 2005 war er Stipendiat am Virginia Center of Creative Art in Virginia (USA). Er ist verheiratet mit der kunstsinnigen und theaterbegeisterten - auch selbst Regie führenden - Studiendirektorin Monika Liebl; beide sind wohnhaft in einem herrlichen großen alten Haus in Donaustauf.
Peter Liebl hat viele Ausstellungen bestritten, viele Bilder wurden an (oft namhafte) Sammlungen verkauft und es sind auch bereits eine beachtliche Zahl an Katalogen zu seinem ebenso eigenständigen wie umfangreichen Werk erschienen. Am 17. September 2017 titelte die Mittelbayerische Zeitung über ihn: "Der Maler, der das Vollkommene sucht" um mit der treffenden Aussage fortzufahren: "Peter Liebl ist ein Solitär. Ganz anders als die anderen Maler der Region. Der Katzenfreund und Gottsucher ist ein Künstler, der nach der Wahrheit forscht, die sich entzieht." Im Anschluss daran ist von Liebls Freundschaft mit dem Nobelpreisträger für Literatur Imre Kertész (1929-2016) die Rede, worauf hier allerdings nicht näher eingehen kann.
Bei der Zusammenstellung der Prädikate "Katzenfreund" und "Gottsucher" und bei dem Hinweis auf Kertész - der genannte MZ-Artikel kann übrigens auf der ausgezeichneten Homepage Peter Liebls nachgelesen werden - ist mir die Vereinigung von Gegensätzen aufgefallen, die sich ja auch im Werk Kertesz so reichlich finden lassen. "Gegensätze" sind zwar keine Widersprüche", einfach zu vereinigen sind sie dennoch nicht. Und vor allem: Nicht jeder sieht dergleichen überhaupt als sinnvoll oder gar als bedeutend an! Ganz im Gegenteil: Das gros der Menschen schlägt sich immer auf eine Seite der Gegensätze, versteht sich etwa als Bejaher oder Verneiner der Wirklichkeit oder des menschlichen Lebens (Kertesz sowohl als auch) versteht sich politsch rechts oder links, kirchenpolitsch als Bewahrer oder Reformer, ist ein Gottes- oder ein Katzenfreund usw. usf. - malt gegenständlich oder ungegenständlich (bzw. "abstrakt" / "konkret").
Wer Liebl Werk kennt oder auch nur einen ersten Blick auf die hier gezeigten Werke geworfen hat, sieht sofort: Hier ist es ja ganz anders, hier begegnen sich die Gegensätze - und dies oft sogar in einem und demselben Bild. In den Madonnen und deutlicher noch bei den Porträts trifft die reine Kompostion von Farben und Flächen sogar auf den ganz bestimmten und gegebenenfalls auch wiederkennbaren Menschen. Da erhebt sich die Frage: Ist dergleichen nicht ganz unmöglich, wird hier nicht eine ästhetische Grenzlinie überschritten bzw. ein lange bewährter Konsens ("entweder - oder") zerstört? Das mag so sein - aber damit dürfte (sollte) noch kein abschließendes Urteil über den künstlerischen und ästhetischen Wert dieser Bilder gefällt worden sein. Es gibt offensichtlich sowohl schwer als auch gut zu rechtfertigende Grenzüberschreitungen. Diejenige Peter Liebls scheint mir den letzteren zugehörig.
Zur Begründung dieser Aussage möchte ich in gebotener Kürze auf einen heute weitgehend vergessenen bayerischen Autoren verweisen, der im Jahre 1833 eine Schrift mit dem Titel "Über den Zwiespalt des religiösen Glaubens und Wissens" verfasst und darin einiges Grundsätzliche und Wegweisende über den Gegensatz von Christlicher Religion und neuer (auch theologischer) Wissenschaft zum Ausdruck gebracht hat. Die Rede ist von Franz von Baader (1765-1841) und die zentrale Aussage seiner Abhandlung lautet:
Wo nur immer eine Zwietracht eingetreten ist, da muß man nicht hoffen, dadurch, daß man nur von außen oder einseitig dem einen oder dem andern Sichwiderstreitenden zu Hilfe kommt, dem Übel abhelfen zu können, sondern nur durch Wiederbelebung und Erstarkung beider zugleich und von ihrer gemeinschaftlichen Mitte aus.
Das ist ganz genau der Weg des Malers Liebl gewesen. Er fand den Zwiespalt von gegenständlicher und ungegenständlicher Malerei vor, schließt sich zunächst dieser, dann jener an, um endlich, in einer gewaltigen künstlerischen Anspannung und physisch-psychischen Anstrengung, beiden gewissermaßen zu Hilfe zu kommen, indem er beide von ihrer gemeinsamen Mitte bzw. ihrem Ursprung aus wiederbelebt und erstarkt. Ursprung und Mitte der neuzeitlichen Malerei sind aber die frühen italienischen Meister der Spätgotik und Frührenaissance von Duccio, Cimabue und Giotto bis Masaccio, Uccello und Piero della Francesca. "Ursprung und Mitte" der modernen gegenständlichen Malerei sind die Impressionisten von Monet bis Bonnard, "Ursprung und Mitte" der ungegenständlichen Malerei ist vor allem Mondrian - und all diese Großen hat Peter Liebl wiederzubeleben und zu erstarken gesucht.
Nicht auf eine Seite hat er sich somit geschlagen, sondern beiden Seiten wollte er im Geiste der Versöhnung dienen und gerecht werden. Und ihre gemeinsame Mitte hat er zu stärken gesucht, welche als wiedererkanntes Zentrum aller malerischen Bemühungen eine höhere Synthese sollte ermöglichen können. Als dieses gemeinsames Zentrum aber ist von ihm etwas gekennzeichnet worden, das ein "mystisches Bewusstsein" genannt werden darf. Es ist das tiefe Gefühl dafür und das dieses begleitende untergründige Wissen davon, dass unsere sog. Wirklichkeit nicht alles, ja noch einmal das eigentlich Reale darstellt. Peter Liebl drückt es mit einem Wort aus, das bereits Titel der großen Werkschau im September 2018 in Ihrlerstein gewesen ist: "Das Bild ist ein Fenster, es öffnet den Blick auf eine andere Welt." In dieser ewigen Welt sind die Gegensätze vereint, ist jeder Zwiespalt überbrückt, ist das Wesen des Konfligierenden und Zerstörbaren in eine unzerstörbare Einheit hinein aufgehoben.
In der Einladungskarte sagt es Liebl mit einem Zitat von Franz Kafka: "Das Unzerstörbare ist eines; jeder einzelne Mensch ist es und gleichzeitig ist es allen gemeinsam, daher die beispiellos untrennbare Verbindung der Menschen." Es steht zu hoffen, dass wir in diesen mit großartigen Bildern geschmückten wunderschönen Räumen gemeinsam etwas von dieser unzerstörbaren Einheit der Wirklichkeit hinter dem Augenschein erfahren. Damit uns diese Erfahrung ein wenig leichter gemacht wird, will ich Herrn Liebl nun noch einige Fragen stellen, die den Zugang zu seinen Werken erleichtern könnten. Und so bitte ich Sie alle noch etwa zehn Minuten um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit, Herrn Liebl aber zu mir nach vorne.