In seiner bildnerischen Antwort auf Mörikes „Um Mitternacht“ greift Peter Liebl die Farbklänge des Gedichts auf – „die goldne Waage“ der mitternächtlichen Zeit, deren Schalen „stille ruhn“, und den Klang von „des Himmels Bläue“ – und staffelt sie in Abtönungen und Kontrasten von Dunkel und Licht. In der kompakten, sich zur Mitte lichtenden Komposition des Aquarells erkennen wir jedoch, dass die poetische Bildfigur der Ausgewogenheit, in der für einen Augenblick die Zeit ruht, nicht die einer mathematischen Symmetrie ist, mit der gelb-goldenen Säule als Symmetrieachse. Vielmehr leben beide, Mörikes Text und Liebls Aquarell, von leichten asymmetrischen Verrückungen und Unausgewogenheiten, in denen „um Mitternacht“ sozusagen die Unruhe des vergangenen Tages bis in die Ränder nachzittert:
„Doch immer behalten die Quellen das Wort,
Es singen die Wasser im Schlafe noch fort
Vom Tage,
Vom heute gewesenen Tage“